Schützt Fermentiertes wirklich gegen das Corona-Virus/
COVID-19?

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„Was, fermentiertes Gemüse schützt vor Corona?!“

Das werden wir in den letzten Monaten öfter mal gefragt…

Solche Aussagen haben wir in den letzten Monaten oft gehört – doch stimmt das wirklich? Und warum macht diese Aussage die Runde, warum denken so viele Menschen, dass Fermente (und im speziellen fermentiertes Gemüse) vor dem Coronavirus (bzw. COVID-19) schützt?

Vorab sei schonmal gesagt: Nein, fermentiertes Gemüse schützt nicht vor Corona (dann hätten wir auch ganz viele Probleme weniger :D)!

Das ganze basiert auf einer Studie, welche Anfang Juli auf medRxiv veröffentlicht wurde – oh ha, hierbei sollte man vorsichtig sein! (medRxiv sagt dir nichts? Kein Problem, wir erklären das gleich – und sonst schau einfach nun direkt unten nach, was es bedeutet!)

Wir klären euch heute auf – und gehen dabei auf verschiedene Punkte ein:
1. Was hat die Studie wirklich herausgefunden? (hier)
2. Welche Nachteile der Studie sprechen die Autoren selber an? (hier)
3. Was bedeutet es, dass die Studie bei medRxiv (einem preprint-Server) veröffentlicht wurde? (hier)

Und nun viel Spaß beim Lesen – wir hoffen, du hast ein paar „Aha“-Momente 🙂


1 – Warum denken viele, dass Fermente gegen das Coronavirus schützen?

Die letzten Monate gab es viel Aufsehen um eine neue Studie, die sich den Zusammenhang zwischen dem Verzehr von fermentiertem Gemüse und der Sterblichkeitsrate durch COVID-19 angeschaut hat.

Es geht um folgende Veröffentlichung:

Corona_Artikel_fermentiertes_Gemuese

Vor allem bei Instagram und Facebook machte die Studie die Runde, wurde aber auch von einigen Firmen geteilt und quasi als untermauernde Werbung benutzt… (Wir nennen hier keine Namen, waren aber schon recht schockiert).

Die Studie wird dann oft folgendermaßen interpretiert:

„Fermentiertes Gemüse schützt vor einer Infektion mit dem Coronavirus!“

oder

„Das Essen von fermentiertem Gemüse senkt die Sterblichkeitsrate bei einer COVID-19-Erkrankung!“

Wow, das klingt natürlich super – eigentlich zu gut, um wahr zu sein…! Da werden wir als Wissenschaftler direkt skeptisch und schauen uns das lieber mal mit eigenen Augen an…


2 – Die Fermente-Corona-Studie im Detail

Wie ist die Studie aufgebaut, was ist das Ziel der Studie?

Die Studie verfolgt eigentlich ein gutes Ziel: Sie schaut nach, ob es einen Zusammenhang zwischen der Ernährung und COVID-19 gibt.  

Folgende zwei Faktoren wurden dafür auf Länderebene in Europa angeschaut und miteinander korreliert (man guckt also nach Zusammenhängen zwischen den beiden Aspekten):

Zusammenhang-Corona-Covid-fermentiertes-gemuese

Einfach gesagt, wollten die Autoren wissen: Ist in Ländern mit einer geringen COVID-19 Sterblichkeitsrate der Konsum von bestimmten fermentierten/eingelegten Lebensmitteln höher (oder niedriger)?


Was hat die Studie herausgefunden?

  1. In Ländern mit hohem Konsum von fermentiertem Gemüse scheint die COVID-19 Todesrate geringer zu sein.
  2. Andere untersuchte Lebensmittel zeigen diesen Effekt nicht (auch keine Probiotika oder probiotische Milchprodukte wie Joghurt, und auch kein eingelegtes Gemüse).

Das sind auch schon alle Schlussfolgerungen (!!)

So weit, so gut – allerdings gibt es ZAHLREICHE Nachteile bzw. Limitierungen der Studie, die man unbedingt beachten sollte, bevor man Schlussfolgerungen zieht!


3 – Nachteile der Fermente-Corona-Studie

A – von den Autoren selbst erwähnt

Die Autoren weisen selber auf mehrere Einschränkungen hin, die beim Interpretieren der Ergebnisse beachtet werden müssen:

  1. Jedes Land erfasst die COVID-19 Infektions- & Sterbefälle völlig individuell und unterschiedlich – und damit sind die Daten nicht konsistent zwischen Ländern. 
    –> Das bedeutet: Es kann zu sehr großen Schwankungen in der Fallzahl und auch zu einer hohen Dunkelziffer kommen!
  2. Das Konsumverhalten von den Lebensmitteln ist auf Länderbasis erfasst (also z.B. komplett Frankreich), während die Corona-Sterblichkeit je nach Region sehr stark schwankt. –> Das bedeutet: Ein Vergleich ist damit schwieriger möglich!
  3. Die Autoren reden nur von Korrelationen – nicht von Kausalität, also einer wirklichen Ursache!
    Ein berühmtes Beispiel zur Erklärung ist die Korrelation von Storchenpaaren und Geburtenrate in bestimmten Regionen… Tatsächlich gibt es in den untersuchten Regionen mit vielen Störchen mehr Geburten – natürlich liegt dem aber kein kausaler Zusammenhang zugrunde (der Storch bringt also nicht wirklich die Kinder).
    –> Der in der Studie gefundene korrelative Zusammenhang könnte also rein zufällig sein!
  4. Die Konsumdaten sind über einen längeren Zeitraum ermittelt worden und sind daher mit Vorsicht zu betrachten.

B – Weitere Nachteile aus unserer Sicht

  1. Die Studie beruht auf COVID-19 Sterblichkeitraten im Juni 2020. Seitdem hat sich im Pandemie-Verlauf einiges geändert – dieselbe Analyse würde heute wahrscheinlich ein ganz anderes Bild ergeben!
  2. Einige wichtige Parameter wurden nicht berücksichtigt – z.B. die Anzahl an durchgeführten Tests pro Einwohnerzahl! So kann es natürlich sein, dass Länder, die mehr testen, auch eine andere Sterblichkeitsrate melden.
  3. Es wurden nur 5 (!) Lebensmittelgruppen angeschaut – das ist sehr wenig & voreingenommen. Und auch nicht für alle 5 Lebensmittelgruppen sind Konsumdaten für alle Länder vorhanden.

C – Ein weiterer Aspekt: Die Ferment-Corona-Studie wurde bei medRxiv veröffentlicht!

  • Und das ist hierbei so wichtig, dass wir uns das nun im Detail anschauen:

4 – Was sind preprint-Server wie medRxiv und bioRxiv – was bedeutet es, wenn dort Studien veröffentlicht werden?

biorxiv-medrxiv-logo

„bioRxiv“ und „medRxiv“ („Rxiv“ wird übrigens ausgesprochen wie das englische „archive“) sind beides sogenannte „preprint-Server“. Auf preprint-Servern kann man wissenschaftliche Veröffentlichungen und Studien hochladen, um sie mit der Welt zu teilen. Wichtig ist hierbei: die Werke können „einfach so“ hochgeladen werden, ohne weitere Beschränkung – man kann also ganz leicht seine Forschungsergebnisse veröffentlichen. Das hat viele Vorteile, aber auch Nachteile:

Vorteile:

  • Der Zugriff auf bioRxiv ist frei, jeder interessierte Mensch hat also Zugriff auf neueste Forschungsergebnisse! Das ist wirklich super, viele Magazine verlangen normalerweise teure Gebühren, um Studien lesen zu können.
  • Die wissenschaftliche Forschung kann schneller vorangehen! Normale Studien/Veröffentlichungen müssen einen „peer-review“ Prozess durchlaufen – das bedeutet, andere Forscher (=peers) checken die Studie intensiv, stellen kritische Fragen und können auch neue Experimente fordern. Oft werden Studien auch abgelehnt. So kann es mitunter Jahre dauern, bis Forschungsergebnisse an die Öffentlichkeit gelangen!

Nachteile:

  • Der größte Vorteil ist gleichzeitig der größte Nachteil – Es gibt halt keinen „peer-review“. Keine unabhängigen Forscher beurteilen die Studie vor einer Veröffentlichung! Daher kann es (wie in diesem Fall) auch passieren, dass ziemlich dürftige Studien publiziert werden… 

Wichtig für euch: Es gibt bei medRxiv und bioRxiv keinen Qualitätscheck! Es gilt also – besonders kritisch lesen 🙂


5 – Unser Fazit: Fermentiertes Gemüse schützt NICHT vor dem Corona-Virus!

  • Die Analyse basiert – auch laut den Autoren selbst! – auf sehr variablen und FEHLERANFÄLLIGEN DATEN.
  • Wichtige Parameter wurden NICHT BEACHTET.
  • Obwohl wir es uns wünschen würden, können wir leider KEINEN MEHRWERT aus dieser Studie ziehen.

Unsere TAKE-HOME-MESSAGE:

  • Bleibt kritisch und hinterfragt Studien (auch wenn sie das zeigen, was ihr euch wünscht 🙂 )!
  • Besonders bei preprint-Papern (medRxiv und bioRxiv) sollte man ein offenes Auge haben!
Natürlich sind wir trotzdem riesige Fermente-Fans - warum? Lies hier nach! 

https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.07.06.20147025v1

Author

Hi, wir sind Miriam und Till! Zurzeit leben wir im wunderschönen Köln und beschäftigen uns beruflich mit der Biologie des Alterns. Miriam arbeitet im speziellen am Zusammenhang von Darmbakterien und verschiedenen Alterungsprozessen. Neben unserer Arbeit lieben wir es zu kochen und natürlich mit Fermenten zu experimentieren :) Dieser Artikel wurde von Miriam verfasst.

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